Henry Wanyoike
Henrys Book
Mein langer Lauf ins Licht
The fastest blind man in the world tells the amazing story of his life.
Published by Bengt Pflughaupt
He
runs from victory to victory. Hundreds of thousands celebrated him, in
the Olympics Stadium in Sydney and at the marathon in Vienna. The blind
wonder-runner, who runs against animals in Kenia, also runs into a life
full of new hope. Hope and example for people worldwide...
.....................Draußen
zeigt sich das Wunder Natur wie fast jeden Morgen in Kenia von seiner
besten Seite, auf dem Grün der Wiesen und der Tabak-Pflanzen in den
Bergen liegt noch ein wenig Tau als die Sonne groß und mächtig am
Himmel erscheint, dass einem Angst und Bange werden kann.
Henrys
Hühner schieben sich auf der Suche nach den besten Körnern gegenseitig
aus dem Weg und auf der Straße vor dem Haus transportieren kräftige
Frauen große Ballen auf dem Kopf. So groß, dass sich möglicherweise
Autoverleiher weigern würden, diese Fracht auf einen Klein-Lkw zu
laden.
Gladis
holt Gemüse aus dem Garten und grüßt die im flotten Tempo
vorbeiziehenden Frauen, die auf dem Weg zu einer der Märkte sind. Die
Kuh macht muh, ein Hahn kräht dazu - morgens um halb sieben ist die
kleine von Henrys Familie noch in Ordnung.
Im
Hause - wie immer um diese Zeit - reges Treiben. Gladis fuhrwerkt nun
in der Küche, sie kocht Tee und bereitet ein kräftiges Porridge zu,
schält Obst und schüttelt den Kopf: Henry schläft noch - der sollte
doch schon auf dem Weg nach Nairobi sein, um Kerosin zu kaufen. Aber
eigentlich ist es ja noch zu früh, um schon mächtig sauer zu werden,
außerdem ist der Knabe ja wirklich ein Mann mit dem man sich sehen
lassen kann geworden.
Dass
hätte die Mutter auch nicht gedacht, als die Lehrer auftauchten um sich
über Henry zu beschweren - oder Gartenbesitzer, die Geld wollten, weil
der Herr der kleinen Ziegenarmee die Verantwortung für den großen
Blumenhunger seiner tierischen Rasenmäher gehabt hat.
Mutter
Gladis sagt heute: "Es war damals die Zeit, als das Leben für mich
langsam leichter schien. Wir hatten es offenbar geschafft und die Zeit
schien für uns zu sprechen. Henry war ein kleiner Geschäftsmann mit
prämierter Nebentätigkeit als Maulwurffänger, die Tochter ging zur
Schule - und für mich war der Druck weg, jeden Tag ums Überleben der
Kinder kämpfen zu müssen. Wir konnten Gott wirklich dankbar sein."
Aber
kaum lobt die Mutter Henry (wenn auch nur gedanklich), da könnte die
Frau Mama ihrem erwachsenen Sohn auch schon wieder im Geiste den Hals
umdrehen: ,Ganz schön mutig, der Kleine. Jetzt noch zu schlafen. Na
warte!' Diesen Zustand will die Mutter ändern und macht sich mit einem
gewissen aufwallenden Zorn auf, Sohnemann aus dem Bett zu schmeißen.
Der
rollt sich auf seiner Matratze hin und her und kann sich nur erinnern,
dass eine Stimme - die der Mutter ähnlich - unwirsch ruft. "Ich wusste
nicht was los war, als eine Stimme ziemlich laut meinen Namen rief. Ich
glaubte, Mutter zu hören, ich war mir aber nicht sicher. Ich merkte
nur, dass irgendetwas nicht stimmte.
Im
Schlaf hatte ich von Kopfschmerzen geträumt und ich hatte ein paar
Blitze zucken sehen, ich fasste mir an den Kopf, der wirklich schmerzte
und war völlig unsicher, so unsicher, wie ich noch nie in meinem Leben
war. Doch vielleicht als ich am Grab meines Vaters stand, weil ich
damals nicht genau einschätzen konnte, was da passiert war.
Ich
fühlte eine bleierne Müdigkeit im Körper, mein Kopf war schwer, als
hätte ich einen Helm auf, ich hörte sehr schlecht; aber als ich die
Augen aufmachte, da war es noch dunkel. Ich mich doch ein wenig über
die Mama gewundert und mich gefragt: "Was soll das jetzt" Wieso steht
sie mitten in der Nacht auf und krakelt herum. Ist sie vielleicht
verrückt geworden - aber dann war Ruhe und ich habe geschätzt, dass es
etwa drei Uhr in der Nacht sein dürfte."
Henry,
mit der Gewissheit ausgestattet, dass es ihm gelingen würde, in den
nächsten Stunden die bleierne Mattigkeit und den Kopfschmerz weg zu
schlafen, dreht sich zufrieden auf die Seite - da macht es draußen ganz
laut "muh". Schlagartig ändert sich der Zustand Henrys, der Geist
schaltet auf eine mittlere Alarmstufe.
"Ich
hatte die Augen wieder geschlossen, als ich die Kuh hörte. Mir schoss
durch den Kopf: ,Wieso sollte die nachts brüllen, das tut sie nur, wenn
Fremde auf dem Gelände sind' - sind Fremde auf dem Gelände und hat
Mutter vielleicht deshalb so komisch reagiert?"
Sekunden
später kräht der Hahn drauf los und die Hühner gackern munter um die
Wette und vor der Tür stimmt die Mutter mit durchdringender Stimme ins
Konzert ein - nur bellt sie im Bariton Bariton. "Henry, Du fauler Hund,
steh' sofort auf, sonst..."
So
beginnt sich die Angst wie eine Schraubzwinge um Henrys Hals zu legen.
Er kennt sich nicht mehr aus, was für ein Stück wird auf der Bühne des
Lebens denn hier gespielt" Eine Antwort kennt Henry nicht. Er
realisiert auch noch lange nicht, was für ein Drama längst begonnen
hat.
Wir,
die Chronisten, haben die Dunkelheit abgewartet, bevor wir näher auf
das Unbegreifliche dieser einen Nacht eingehen. Henry spürt sie, die
Dunkelheit, die in Windeseile das Restlicht des Tages schluckt -
und langsam und akribisch taucht der schnellste Marathon-Mann der Welt
in seine ureigene Vergangenheit ein, durchlebt die schicksalhafte Nacht
auf dedn ersten Mai 1995 noch einmal, er erlebt die Phase zwischen ins
Bett gehen und in der Früh aufstehen, ohne dieses unglaubliche
Ereignis, wären wir nicht hier draußen in der Wildnis und
verfolgten den langen Lauf eines Mannes ins Licht.
Das
Lagerfeuer brennt im Trainings-Camp, drum herum sitzen kenianische
Spitzensportler in "Licht für die Welt"-Shirts. Wir haben sie mit nach
Kenia genommen haben, denn Henry Wanyoike läuft im Namen dieser
engagierten Organisation aus Wien weltweit für alle blinden und
behinderten Menschen, besonders für die aus Afrika. Auch die Freunde
starren gebannt auf Henry.
Viele
kennen die Geschichte dieser Nacht der Nächte und sie nicken
bedeutungsvoll mit dem Kopf, als Henry in die Stille des knisternden
Lagerfeuers spricht: "In dieser Nacht hat mich Gott in ein tiefes
dunkles Tal geführt, damit ich von dort aus meinen langen Lauf ins
Licht ins Licht starte und der ganzen Welt zeige, wie leistungsfähig
Menschen mit Handicaps sein können, wie sehr sie sich aber auch für
andere einsetzen."
Von
all dem weiß der junge Wanyoike natürlich nichts, als er - inzwischen
unwissend und verängstigt im Bett liegend seine Augen öffnet, um die
Lage zu peilen. Aber es ist noch immer dunkel. ,Vielleicht ein
Stromausfall' - so versucht sich Henry zu beruhigen - aber draußen
gackern auf einmal die Hühner.
Henry
hektisch: "Langsam sickerte es in mein Bewusstsein, ,Henry, es muss
wirklich etwas Schlimmes passiert sein, das ist jetzt wirklich kein
Spaß mehr'."
Was
auch nicht wirklich anzunehmen war, dann draußen vor der Tür beginnt
nach und nach eine gewisse Schaumbildung im Mund der Mutter Wanyoike.
Jetzt wird nur noch gebellt: "Henry, du Nichtsnutz, raus aus dem Bett.
Zack, zack."
Drinnen
nimmt Heny seinen ganzen Mut zusammen und will die Sicherheit des
Sehenden zurück: "Mutter, jetzt sag endlich, was mit dir. Bist Du
krank, kann ich Dir helfen - was machst Du nachts hier für ein
Theater."
Draußen
läuft Gladis heiß: "Ich habe natürlich gedacht, jetzt wolle mich der
Kleine ärgern, weil er noch schlafen will - oder er habe eine Ausrede
gesucht, weil er so lange schläft und nicht wie die Schwester und meine
Schülerin schon auf dem Weg ist, Erledigungen zu machen. "Aber nein",
habe ich gedacht, "mein Sohn brät sich wieder einmal eine Extrawurst,
der feine Herr!'"
Nun
können wir uns lebhaft vorstellen, wie groß die Furcht in Henry gewesen
sein muss, denn draußen keift die keinesfalls ungefährliche Mutter und
drinnen kämpft der junge Mann gegen seine Kopfschmerzen und mit der
immer stärker werdenden Furcht: "Ist meine Mutter wirklich verrückt
geworden!" Hinzu kommt, dass eine andere Angst beginnt, seine Seele
aufzufressen. "Warum ist es um mich herum dunkel, wenn draußen das
Leben offenbar seinen Tagesbetrieb aufgenommen hat, denn jetzt trägt
der Wind auch Gerüche aus der Nachbarküche herüber - und dort wird
gekocht. Was bitte, ist nur los. Henry zwingt sich zum Nachdenken.
Henry
legt sich wieder ins Bett. Die Ruhe dazu hat er aber nicht. Die Kuh
macht Alarm, offenbar spürt die sensible "Muh", dass ihr Freund und
Einflüsterer in echten Schwierigkeiten steckt.
Henry
erzählt seinen Sport-Kameraden die herzzerreißende Geschichte weiter -
und wir sehen im flackernden Schein des von Henry entfachten
Lagerfeuers, wie sehr die Schilderung der Nacht der Nächte, die
Kenianer berührt. Ja, heute und hier sitzen sie mit einem ihrer Brüder
zusammen für den alle einstehen wollen. Jeder sieht das so, es ist, als
sitze ein Geheimbund zusammen. Alle für Henry.
"Ich
wusste nicht mehr weiter, die Kuh brüllte, Mutter brüllte, ich dachte,
dass die Mama völlig durchgedreht sei - und ich konnte noch immer
nichts sehen. Ich spürte, wie die Angst mir immer weiter den
Schraubstock um den Hals zudrehte. Ich hab mir mit der flachen Hand
einige Male gegen die Stirn geschlagen. ,Henry, Augen auf, aufstehen!'
Ergebnislos. Was blieb, war die Dunkelheit."
Und
erst jetzt, in seiner grenzenlosen Angst um seine Mutter und um sich,
wagt Henry seine Verzweiflung herauszuschreien: "Mutter, wie kann ich
Dir helfen, aber ich weiß auch nicht was los ist, denn ich kann nichts
mehr sehen."
Was
Gladis für sich gesehen nicht wirklich beeindruckt, denn die denkt
schließlich noch immer, dass Henry sie ärgern wolle: "Ich kenne doch
meinen Henry, der ist immer und in jeder Lebenslage darauf aus, seine
Späße zu machen. Ja, ich war mächtig in Fahrt und dass er jetzt auch
noch eine Krankheit vortäuschen wollte, das fand ich unglaublich, denn
bei uns in Kenia gibt es so viele blinde Menschen. Erst einmal, weil
wir nur wenige Augenärzte haben und dann erblinden die Kinder armer
Familien weil dem Körper zu wenig Vitamine zugeführt werden. Gleich bei
uns um die Ecke lebt ein blinder junger Mann, übrigens ein Freund von
Henry. Ich bin darum einfach noch wütender geworden."
Und
Henrys Herz und Seele haben geblutet. Er liegt verzweifelt im Bett und
kennt sich nicht mehr aus. Rumms - fliegt die Tür auf - und hätte Henry
denn sehen können, wäre er der Mutter wie früher flugs entwischt und
erst einmal davon gelaufen. In der näheren Umgebung Kikuyus gab es
sowieso niemanden, der ihn hätte einfangen können.
Aber
Henry sieht eben nichts von der Gefahr, die sich da auf ihn zuwälzt. Er
hört das wütende Gebrüll der Mutter, er spürt sie aber erst, als sie
ihn am Ohr hat und an den Haaren: "Dann hat sie mich erst einmal
kräftig durchgeschüttelt und mir fast das Ohr abgerissen und dann ist
sie wieder rausgestampft."
Henry
bleibt in tiefer Ratlosigkeit und voller Verzweiflung zurück. Draußen
krakelt die Kuh, so als wolle sie Henry zu Hilfe kommen. Die Mutter
verrückt geworden, er selber offenbar schwer angeschlagen - die
Schwester außer Haus, die Schülerin der Mutter auch. Henrys Entschluss
hätte der Großvater sicher auch getroffen - der Gefahr entgegen.
Henry
drückt sich aus seinem Bett, der Kopf dröhnt. Nur raus hier, nach
draußen, ans Licht, Luft holen, atmen, weg vom Geschrei, Hilfe holen,
die Mutter ist verrückt geworden. Sie soll damit aufhören, sie soll
nicht mehr schreien - sie soll mir helfen. Irgendwas ist mit mir. Was
ist mit mir, warum brüllt die Kuh, warum gackern die Hühner und die
Nachbarn sind auch wach und ich seh' nichts?.............
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