Der lange Lauf ins Licht
Henry Wanyoike kauft mit Preisgeld Strickmaschinen für Behinderte
Links,
rechts, einmal schneller, einmal langsamer - das höchst ungewöhnliche
Leben des fast blinden Super-Sportlers und Entwicklungs-Helfers Henry
Wanyoike verläuft in Schritt- Schnitt- und Denkmustern....
Schnitt:
Jenseits von Afrika, die glutrote Sonne beginnt die Arbeit am
Himmelswerk, von weit her dringt das Gebrüll von Löwen. Ein alter Mann,
der wie jeden Morgen am Stadtrand von Kikuyu (Kenia) Holz holt, sieht
den ?Wanyoike-Express" in einer Staubwolke über die Piste heranrasen.
Links, rechts, links, rechts, die schnelle Schrittfolge - Henry ist wie
jeden Morgen gut unterwegs. Der Goldmedaillen-Gewinner bei den
Paralympics, der Sieger über 5.000 Meter in Boston, der
Marathon-Gewinner des Weltmeisterschafts-Race von Japan trainiert für
Wien. Für den Jubiläums-Marathon. Links, rechts, links, rechts, immer
schneller über die Donaubrücken, im Feld mit vorneran will er sein.
Mit
einer unglaublichen persönlichen Bestzeit von 2:38:00 beeindruckt
dieser besondere Sportler im allgemeinen, aber speziell auch den
österreichischen Genius über die Langdistanz.
Vienna-City-Marathon-Manager Wolfgang Konrad: "Das ist eine Leistung
wie von einem anderen Stern. Ich bin froh, dass dieser Henry Wanyoike
für die Chistoffel-Blindenmission, jetzt LICHT FÜR DIE WELT den Weg
nach Wien auf sich nimmt und ich bin stolz, dass ich seine Anliegen und
die der Kämpfer für mehr Augenlicht in den Armutsgebieten unserer Erde
unterstützen kann."
Blende
nach Kikuyu. Die Sonne lässt schon am frühen Morgen erahnen, welche
Musik sie mittags spielen wird. Links, rechts, die 30 Kilometer
Training machen Henry Wanyoike nichts aus. Er strahlt, ist sich sooo
sicher: "Ich bin so fit, ich werde meine Zeit in Wien noch verbessern,
um ganz vorn mit dabei zu sein", formuliert er ohne zu schnaufen. Kurz
vor der mütterlichen Farm, auf der am Tor zwei Hunde auf ihn warten,
die es schon längst aufgegeben haben, mit ihm um die Wette zu laufen,
stoppt der Wanyoike-Express vor einem kleinen Laden. Ein paar
Lebensmittel, eine kleine Kanne und eine Zeitung ("Die ist für mich",
sagt der nahezu erblindete Mann) und schon geht's weiter; wobei Henry
tunlichst darauf achtet, nichts aus dem Messing-Gefäß zu verschütten.
Äh, Pardon? Aber, was ist denn da drin? "Ach so, ja, das ist
Schmieröl", antwortet der Running-Man und schmunzelt vor sich hin.
Nein, natürlich sei das nicht für die Knochen, aber das sei eben nun
einmal für sein Leben ganz wichtig. Dann erzählt er nicht von
Bestzeiten und Schritt- sondern von ganz anderen immer wieder kehrenden
Mustern...
Schnitt:
"Ja, das sind sie, meine kleinen Lieblinge", dabei meint er Menschen,
Maschinen und auch Maschen. Seine Schüler und seine Strickmaschinen und
die Oberbekleidung. Henry ist nicht nur Olympia-Sieger, Henry ist auch
Pullover-Hersteller. Made by Wanyoike - und dieser Umstand macht den
außergewöhnlichen Menschen Henry Wanyoike zu einem ganz besonderen und
zu einem Helden nicht nur unter den Blinden und Behinderten des Landes:
"Eigentlich ist dieser Henry die Verkörperung der Idee wie
Entwicklungs-Hilfe ausschau'n sollte", sagt Rupert Roniger,
Geschäftsführer LICHT FÜR DIE WELT. "Henry ist im Mai 1995 erblindet
und hat Hilfe in einem unserer Projekte erfahren. Er war so überwältigt
von der Hilfe und von dem, was möglich ist, dass er sich gesagt hat, er
werde jetzt als nahezu Blinder seinen Leidensgenossen helfen. Also hat
er sich von seinen Siegerprämien Strickmaschinen gekauft, blinde
Kenianer angestellt und er unterrichtet sie, wenn er nicht gerade
läuft."
Das
tut er äußerst erfolgreich, auch in den Arenen dieser Welt, gilt dieser
Henry Wanyoike als Held. Vor allem beim legendären Running-Man Tom
Henderson und Hollywood-Heroe Arnie Schwarzenegger, die dabei waren,
als folgendes passierte... ...Im Olympiastadion von Sydney schweigen
die Menschen wie paralysiert, der Mann, der im 5.000 Meter-Lauf voran
liegt, bremst die Geschwindigkeit. Sein Führer und Leitwolf konnte beim
Tempo des "Blind Man" nicht mehr mit. Also wechselten beide die Rollen.
Tom Henderson beschreibt: "Ich habe so etwas noch nie gesehen. Da macht
der Führungsläufer des Behindertensportlers während des Laufs schlapp
und dieser Henry Wanyoike zieht, schleppt und stößt ihn am Ende ins
Ziel und zwar mit einer Zeit, die nur drei Sekunden über dem Weltrekord
lag." Das Publikum feierte Henry frenetisch. Arnie Schwarzenegger
sprach vom neuen Helden und ist natürlich als großer Sponsor und
Unterstützer der Paralympics mächtig stolz auf seinen Mann aus Kenia.
Zur
Legendenbildung des Henry W. trägt auch diese - ähnlich - gelagerte
Geschichte bei (seien Zuschauer also auch während des Wien-Marathons
auf Hilfestellung gefasst): Marathon in Japan. Der Führer von Henry
reißt sich die Sehne, ein Zuschauer übernimmt, hält das Tempo natürlich
nicht durch. Henry wird weitergereicht und gewinnt am Ende dennoch
knapp. Henry beim Marathon in Wien - da sagt er dem Gros der
Teilnehmer: "hasta la vista, baby!"
Bengt Pflughaupt Henry Wanyoike gibt zurück, was man ihm gegeben hat
10. Mai 1974 in Kikuyu geboren, Volks- und Realschule besucht, Mutter
früher Lehrerin, jetzt Farmerin. Mitte der 80er Jahre begann Henry zu
laufen. 1994 erlernte Henry den Beruf des Schuhmachers, im Mai 1995
erblindete er. Petra Verweyen, die ihn im Projekt der
Christoffel-Blindenmission unterrichtet hat: ?Er war so hilflos und
traurig als er kam. Er kann kaum sehen, nimmt das schemenhaft aus einem
Meter wahr, was wir in 60 Meter Entfernung lesen können. Wir haben ihn
Handarbeiten gelehrt und gezeigt, wie man mit einer Zeitung umgeht, wie
man mit Hilfsmitteln die Überschriften und Untertitel lesen kann.
Leider ist diese Restsehfähigkeit nach ca. zwei Jahren auch verloren
gegangen. Jetzt kann Henry nur sehr hell und dunkel unterscheiden.
Henry ist mittlerweile ein weltbekannter Läufer - und er gibt zurück,
was man ihm gegeben hat."
|